Von der „Grünen Hauptstadt Europas“ bis zur E-Weltstadt: In Oslo wurde in den letzten Jahrzehnten eine konsequente Linie gefahren, wenn es um den Umstieg von Verbrenner-Motoren auf umweltfreundliche Lösungen ging. Bis 2030 will die norwegische Hauptstadt in allen öffentlichen Bereichen, also u. a. im Baugewerbe, in der Müllentsorgung oder eben im Mobilitätssektor, klimaneutral sein.
Komplette Elektrifizierung?
Im Fokus standen zu Beginn private Pkw. Erste finanzielle Vorteile gab es beim Kauf eines elektrischen Fahrzeugs schon vor mehr als 30 Jahren. Wer sich zwischen 1990 und 2023 für einen Pkw mit Elektromotor entschieden hat, profitierte von …
- dem Erlass der Kaufsteuer von umgerechnet ca. 10.000 Euro
- dem Wegfallen der 25 % Mehrwertsteuer
- der Halbierung der Kfz-Steuer bei betrieblich genutzten Fahrzeugen
- einer deutlich niedrigeren jährlichen Straßensteuer
- einer allgemeinen Mautbefreiung
- der kostenlosen Nutzung der Fähren
- dem Erlass der Parkgebühren innerhalb der Städte
- der Nutzung der Bus- und Taxispuren, bei mindestens zwei Personen im Auto
Im Jahr 2009 wurde passend dazu ein 7-Millionen-Euro-Programm der Regierung zur Installation von knapp 2.000 Ladepunkten im öffentlichen Raum durchgewunken. Dass 2020 dann erstmals mehr als 50 % aller neu zugelassenen Pkw in Norwegen elektrisch waren, war die fast logische Folge. Im Jahr 2023 wurde mit mehr als 82 % ein weiterer Meilenstein erreicht, obwohl einige finanzielle Vorteile zum Jahreswechsel 2022/23 wieder zurückgenommen wurden. Die Kosten für Mehrwertsteuer, Straßenmaut sowie Parkgebühren müssen nun auch E-Autofahrer*innen wieder tragen – auch der Vorteil der Busspur-Nutzung fällt weg. Alles in allem kostet die Anschaffung eines emissionsfreien Pkw im Durchschnitt 1.780 Euro mehr als noch im Jahr 2022. Da überrascht es nicht, dass die Kaufzahlen vorerst wieder zurückgingen. Am Plan der Regierung, ab 2025 nur noch den Verkauf emissionsfreier Pkw und Vans zu erlauben, wird aber nach wie vor festgehalten.
Investitionen in den ÖPNV
Natürlich betrifft die Elektrifizierung nicht nur den motorisierten Individualverkehr – schließlich soll die Hauptstadt bis 2030 komplett emissionsfrei sein. Für den Taxibetrieb, der eine geplante Flottenumstellung nur sehr zögerlich annahm, wurde eine Partnerschaft mit dem E-Auto-Hersteller Nio vereinbart. Die große Sorge, dass zu lange Ladepausen das Geschäft beeinflussen würden, kann durch Wechsel-Akkus sowie kontaktlose Ladestationen für Taxis gelöst werden. Und im ÖPNV? Da soll die Umstellung von 450 Osloer Dieselbussen auf elektrisch betriebe Fahrzeuge in Kürze abgeschlossen werden. Daneben wurden weitere Maßnahmen umgesetzt, um den ÖPNV attraktiver zu gestalten: Für Metro, Trams, Busse und Fähren gibt es mit der Ruter-App eine App, die alles hat, was man für die ÖPNV-Nutzung braucht. Neben der einfachen Ticketbuchung steht auch eine Zonenkarte zur Verfügung. Auch alternative Streckenvorschläge und Wegeberechnungen, z. B. wenn man mit dem Rad unterwegs sein möchte, werden vorgeschlagen – ganz ähnlich wie in unserer mobil.nrw App.
Elektrisch über’s Wasser
Wie in einigen deutschen Städten in Wassernähe, zählen auch in Oslo Fährverbindungen zum alltäglichen Nahverkehr. Diese können mit den gängigen ÖPNV-Tickets mitgenutzt werden. Da Oslo von mehreren kleinen Inseln umgeben ist, gehören Schiffe so selbstverständlich zum ÖPNV-Netz wie bei uns die S-Bahnen. Deshalb werden auch diese emissionsfrei umgerüstet. Ein aufsehenerregendes Projekt heißt „Bastø Electric“. Die bis dato größte Elektrofähre der Welt wurde 2021 zu Wasser gelassen. Sie verbindet die Orte Horten und Moss, die am Ost- bzw. Westufer liegen, und erspart eine ländliche Umfahrung von mehr als 150 Kilometern. Knapp 140 Meter lang und 21 Meter breit ist die batteriebetriebene Fähre, die zudem Platz für 600 Passagiere und 200 Pkw bietet. Aber auch die restliche Flotte der Osloer Fähren wird umgestellt und soll – so wie der gesamte Nahverkehr – bis 2028 komplett abgasfrei sein.
Die Befürchtungen ansässiger Geschäftsleute, dass die Innenstadt so an Attraktivität einbüßen würde, sind übrigens ausgeblieben – auch weil die Bürger*innen Oslos viel Mitspracherecht hatten. Vor Start des Programms veranlasste die Regierung eine „City-Life-Survey“, in der die Bevölkerung Wünsche und Anregungen äußern konnte. Wie so oft war die Kommunikation zwischen Politik, Anwohner*innen und Gewerbetreibenden der Schlüssel zum Erfolg. Und die positiven Auswirkungen sind vielseitig: Neben dem Anstieg der ÖPNV-Fahrgastzahlen sowie mehr Fahrradfahrer*innen im öffentlichen Raum wurde auch das Thema Barrierefreiheit umfangreich mitgedacht, sodass auch mobilitätseingeschränkten Personen barrierefreie Zugänge geboten werden konnten.
Hohe Lebensqualität trotz hoher Schadstoffwerte
Trotz der geografischen Lage am Meer und dem seit Jahren hohen Durchschnittswert an Elektroautos, kämpft Oslo mit hohen Schadstoffwerten – besonders im Winter. Durch den sogenannten Wintersmog bildet sich eine Dunstglocke aus Abgasen und Feinstaub. Das führte schon 2017 zu einem zweitägigen Fahrverbot für Dieselfahrzeuge. Für die meisten Einwohner*innen der rasant wachsenden Stadt kann es also gar nicht schnell genug gehen mit derartigen Maßnahmen.
Vorbild oder Utopie
Was also können Deutschland und NRW von der nordeuropäischen Metropole lernen? Vermutlich vorrangig die Konsequenz, das Durchhaltevermögen und die Erkenntnis, dass eine intensive Zusammenarbeit von Politik, Geschäftsleuten und Bürger*innen zu einem für alle Seiten positiven Ergebnis führen kann. Seit Jahrzehnten arbeitet Oslo an nachhaltigen Lösungen für Natur und Mensch gleichermaßen – und bezieht dabei alle Beteiligten mit ein. Dass die in Oslo getroffenen Maßnahmen zur Umgestaltung der städtischen Bereiche große Auswirkung auf die dort lebende und arbeitende Bevölkerung haben würde, wurde von Beginn an mitgedacht. Deshalb wurde früh auf Konfliktvermeidung und Kommunikation gesetzt. So sind die gemeinsamen Ziele bereits in greifbare Nähe gerückt: Bis Ende 2024 sollen die letzten verbleibenden Dieselbusse ausgetauscht werden. Die Neu-Zulassungen in Oslo selbst werden schon jetzt zu 90 % an elektrisch betrieben Pkw vergeben – selbst die 2023 verkauften Lieferwagen (42 % elektrische Fahrzeuge) und Lkw (32 %) weisen stolze Werte auf. Diese Zahlen bleiben auch den Verantwortlichen in Deutschland nicht verborgen, sodass sich im Frühjahr 2024 schon eine Delegation der Baden-Württembergischen Landesregierung auf den Weg gemacht hat, um sich einen Eindruck zu verschaffen. Leider mit der ernüchternden Erkenntnis, dass die finanziellen Mittel nicht vergleichbar sind: Aus dem norwegischen Staatsfond können jährlich ca. 40 Millionen Euro für die Mobilitätswende eingesetzt werden. In den deutschen Bundesländern muss es also vorerst mit kleinen, bedachten Schritten vorangehen.