Mo­bi­li­tät in Ko­pen­ha­gen: 2025 kli­ma­neu­tral?

Rad­we­ge auf jeder Haupt­stra­ße und mehr Fahr­rä­der als Ein­woh­ner*innen: In Ko­pen­ha­gen geht ohne Rad nichts – aber in Sa­chen Nach­hal­tig­keit umso mehr.

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Seit jeher ist es ein span­nen­der Zwei­kampf um den Titel „Eu­ro­pas Fahr­rad­haupt­stadt“. Die Prot­ago­nis­ten: Die Haupt­städ­te der Nie­der­lan­de und Dä­ne­marks, Ams­ter­dam und Ko­pen­ha­gen. Einen al­lei­ni­gen Sie­ger muss es hier al­ler­dings nicht geben. Beide Me­tro­po­len haben schon vor meh­re­ren Jahr­zehn­ten an­ge­fan­gen, al­ter­na­ti­ve und kli­ma­scho­nen­de Ver­kehrs­mit­tel in den Fokus zu rü­cken – und ge­hö­ren so beide zu den nach­hal­tigs­ten Städ­ten Eu­ro­pas.

400 Ki­lo­me­ter Rad­we­ge

Seit über 100 Jah­ren zählt Fahr­rad­fah­ren in Ko­pen­ha­gen zum Kul­tur­gut. Sogar der eins­ti­ge Hype rund um die Au­to­mo­bil­bran­che prall­te an den Ver­ant­wort­li­chen ab – die Rad­we­ge soll­ten dem mo­to­ri­sier­ten Auf­schwung auf kei­nen Fall zum Opfer fal­len. In­zwi­schen füh­ren ca. 400 Ki­lo­me­ter Rad­we­ge durch die dä­ni­sche Haupt­stadt, wo die täg­li­che Nut­zung des Zwei­rads für knapp 50 % der Ein­woh­ner*innen selbst­ver­ständ­lich ist. Die meist­be­fah­re­ne Stre­cke dürf­te dabei die „Dron­ning Lou­i­ses Brü­cke“ sein, die täg­lich von 40.000 Fahr­rad­fah­ren­den über­quert wird. Alle Ko­pen­ha­ge­ner*innen zu­sam­men fah­ren täg­lich üb­ri­gens ca. 1,44 Mil­li­o­nen Ki­lo­me­ter – zwei­mal zum Mond und zu­rück. Gute Ar­gu­men­te für die zwei Räder gibt es viele: Die Wege wer­den immer wie­der mo­der­ni­siert und wur­den in­zwi­schen auf eine Brei­te von 4 Me­tern aus­ge­baut. Alle Haupt­ver­kehrs­we­ge bie­ten den Draht­eseln ei­ge­ne Spu­ren und teil­wei­se ex­klu­si­ve Brü­cken – auch Schnell­fahr­stre­cken im Um­kreis der Stadt wur­den ge­baut. Die In­ves­ti­ti­o­nen be­lau­fen sich in den letz­ten zehn Jah­ren auf 200 Mil­li­o­nen Euro.

Tipp

Die gol­de­ne Regel der Ein­hei­mi­schen zum un­fall­frei­en Fahr­rad­fah­ren in Ko­pen­ha­gen: Heb die Hand, bevor du an­hältst! Die Rad­we­ge sind stark aus­ge­las­tet und wenn du dich­ten Rad­ver­kehr nicht ge­wohnt bist, kann der dä­ni­sche Zwei­rad­tru­bel leicht über­for­dern. Des­we­gen ver­mei­de Auf­fahr­un­fäl­le und kün­di­ge deut­lich an, wenn du plötz­lich ab­bremst. 

Mul­ti­mo­da­li­tät in Best­form

Ko­pen­ha­gen zählt in­zwi­schen fünf Mal so viele Fahr­rä­der wie Autos. Aber es dreht sich nicht alles aus­schließ­lich ums Fahr­rad in der Haupt­stadt: Ob Metro, Bus, Zug, Ha­fen­bus oder Sha­ring­an­ge­bo­te – du kannst kom­bi­nie­ren, wie du möch­test.

  • Metro: Die Metro fährt fah­rer­los durch die Stadt. Die Tak­tung tags­über ist hoch, so­dass alle drei Mi­nu­ten eine Bahn kommt. Nachts wird der Fahr­plan den Um­stän­den an­ge­passt, dann kommt die Metro alle 20 Mi­nu­ten. In den letz­ten drei Jah­ren kamen zwei Me­tro­li­ni­en hinzu, so­dass die meis­ten Ein­woh­ner*innen höchs­tens zehn Mi­nu­ten zu einer Sta­ti­on lau­fen.
  • Busse: Sie de­cken große Be­rei­che in­ner­halb der Stadt ab – und sol­len bis Ende 2025 kom­plett elek­trisch fah­ren. Ei­ni­ge der letz­ten Die­sel­bus­se sol­len mög­lichst kurz­fris­tig gegen E-​Fahrzeuge aus­ge­tauscht wer­den.
  • Ha­fen­bus­se: Mit den prak­ti­schen Fäh­ren geht’s über die Was­ser­we­ge Ko­pen­ha­gens. Die ÖPNV-​Tickets für Bus und Metro gel­ten auch für die Ha­fen­bus­se. Au­ßer­dem fah­ren sie kom­plett mit Öko­strom. Tipp für Tou­rist*innen: Die Ha­fen­bus­se sind super zum Sight­see­ing, denn sie fah­ren u. a. an der klei­nen Meer­jung­frau und dem Opern­haus ent­lang.
  • Fahr­rad: Das Non­plus­ul­tra in Ko­pen­ha­gen, eine der fahr­rad­freund­lichs­ten Städ­te der Welt. Kein Wun­der, dass es neben Rad­schnell­we­gen (die „Su­per­cy­kels­tier“ bie­ten sogar Tem­po­an­zei­gen) auch Re­pa­ra­tur­sta­ti­o­nen ent­lang der Stre­cken gibt. Auch das Leih­prin­zip funk­ti­o­niert: Viele Ho­tels bie­ten Leih­rä­der an, aber auch Sha­ring­an­ge­bo­te gibt es in ver­schie­de­nen Aus­füh­run­gen.
  • Pkw: Vor allem im Stadt­zen­trum kann man ge­trost auf das Auto ver­zich­ten. Es gibt viele Ein­bahn­stra­ßen, Fuß­gän­ger­zo­nen und sehr wenig Park­plät­ze. Aber: E-​Fahrzeuge wer­den klar be­vor­zugt – sie kön­nen kos­ten­los im In­nen­stadt­be­reich so­wohl ge­la­den als auch ge­parkt wer­den. Zudem muss auf die vie­len Fahr­rad­fah­rer*innen ge­ach­tet wer­den, denn diese sind schon al­lein zah­len­mä­ßig weit über­le­gen.
  • Zug-​Fernverkehr: Auch wenn du be­reits um­welt­freund­lich in die dä­ni­sche Haupt­stadt rei­sen möch­test, bie­ten sich kom­for­ta­ble Mög­lich­kei­ten: Meh­re­re Fern­ver­kehrs­ver­bin­dun­gen pro Tag er­mög­li­chen eine ein­fa­che Fahrt aus Deutsch­land. So setzt die DB meh­re­re Züge täg­lich ein, die ohne Um­stieg – zum Bei­spiel aus Ham­burg – nach Ko­pen­ha­gen fah­ren. Wenn du ef­fi­zi­ent rei­sen und auf dem Weg die Augen etwas län­ger schlie­ßen willst, kannst du über die schwe­di­sche Staats­bahn SJ und dem An­bie­ter Snälltåget auch einen Nacht­zug wäh­len. So kommst du von Ber­lin und Ham­burg auf di­rek­tem Weg nach Ko­pen­ha­gen – und sogar noch wei­ter durch Skan­di­na­vi­en.
  • Flug­zeug: Ko­pen­ha­gen hat einen sehr mo­der­nen Flug­ha­fen, der mit der Metro oder dem Zug in knapp 15 Mi­nu­ten aus der Stadt er­reich­bar ist. Seit 2019 gilt der Flug­ha­fen, also alle Tä­tig­kei­ten, die auf dem Boden statt­fin­den, als CO2-​neutral.

Wie es wei­ter­geht …

Auch das 170 Ki­lo­me­ter lange S-​Bahn-Netz soll in den nächs­ten Jah­ren um­ge­rüs­tet wer­den, so­dass bis 2033 das ge­sam­te S-​Bahn-Netz auf den fah­rer­lo­sen Be­trieb um­ge­stellt wird. 270 Mil­li­o­nen Euro um­fasst der Groß­auf­trag für Sie­mens, die 226 On-​Board-Units für neue Fahr­zeu­ge ent­wi­ckeln sowie Gleis­si­gna­le und Bahn­de­pots mo­der­ni­sie­ren. Schon heute fah­rentäg­lich rund 350.000 Fahr­gäs­te mit den Ko­pen­ha­ge­ner S-​Bahnen – da die Stadt al­ler­dings immer wei­ter­wächst, steigt auch der Be­darf an Mo­bi­li­tät. Nach 2033 sol­len dann noch mehr als die bis­he­ri­gen 84 Züge pro Stun­de durch die Me­tro­po­le düsen.

Nach­hal­ti­ge Stadt­pla­nung

Der Ver­kehrs­sek­tor ist nur Teil des­sen, was Dä­ne­marks Haupt­stadt auf dem Weg zur Kli­ma­neu­tra­li­tät leis­tet: Be­son­de­rer Fokus wird unter an­de­rem auf um­welt­freund­li­che En­er­gie­ge­win­nung und ef­fi­zi­en­te Nut­zung vor­han­de­ner Res­sour­cen im Ge­bäu­de­be­reich ge­legt. Kein Wun­der: 2023 wurde Ko­pen­ha­gen zur Welt­haupt­stadt der Ar­chi­tek­tur ge­kürt. Eine recht späte Aus­zeich­nung, wenn man be­denkt, dass mit dem „Green Lighthouse-​Projekt“ be­reits 2009 das erste CO2-​neutrale Ge­bäu­de hier ge­baut wurde: Das Uni­ver­si­täts­ge­bäu­de ver­brauch­te bis zu 75 % we­ni­ger CO2 als an­de­re Ge­bäu­de, indem es Ta­ges­licht, So­lar­zel­len und Fern­wär­me nutzt. 

Strom­erzeu­gung durch er­neu­er­ba­re En­er­gien

Strom soll vor­ran­gig durch Wind und Sonne, sprich: Wind­rä­der und So­lar­pa­nee­le, er­zeugt wer­den. So kann zum Bei­spiel der vom Meer kom­men­de Wind ef­fi­zi­ent in En­er­gie um­ge­wan­delt wer­den. Der dä­ni­sche Koh­le­aus­stieg ist für 2030 ge­plant – acht Jahre frü­her als Deutsch­land!

Wär­me­ver­sor­gung durch Fern­wär­me

Ther­mi­sche En­er­gie aus In­dus­trie und Müll­ver­bren­nung kann um­ge­wan­delt und für Hei­zungs­wär­me und Warm­was­ser wie­der­ver­wer­tet wer­den. 2017 ent­stand das mo­derns­te Müll­heiz­kraft­werk der Welt, das 160.000 Haus­hal­te mit Wärme und Strom ver­sorgt. Was das Ganze noch smar­ter macht: Auf dem Dach der An­la­ge ent­stand mit „Copen Hill“ ein Nah­erho­lungs­ge­biet, in dem ge­wan­dert, ent­spannt oder sogar Ski ge­fah­ren wer­den kann. Zudem wer­den durch das 2020 er­öff­ne­te und ver­mut­lich mo­derns­te Bio­mas­sen­heiz­kraft­werk der Welt, „Amagerværket“, ganze 43 % der CO2-​Emissionen, die durch En­er­gie­pro­duk­ti­o­nen ent­ste­hen, re­du­ziert.

En­er­gie­ef­fi­zi­enz wei­ter vor­an­trei­ben

Durch das Ein­spa­ren von En­er­gie will Ko­pen­ha­gen bis Ende 2025 als kli­ma­neu­tral gel­ten. Ge­bäu­de wer­den um­welt­freund­lich sa­niert, Neu­bau­ten mit in­tel­li­gen­ten Fas­sa­den ge­baut und So­lar­mo­du­le an Haus­fas­sa­den an­ge­bracht. Zudem gibt es mit den „Re­sour­ce Rows“ ein gan­zes Wohn­ge­biet, deren Häu­ser aus Upcycling-​Ziegeln und Alt­holz ge­baut wur­den. 
Kli­ma­neu­tra­li­tät be­deu­tet üb­ri­gens nicht, dass Ko­pen­ha­gen Ab­ga­se kom­plett ver­mei­den kann – das ist in der heu­ti­gen Zeit ver­mut­lich un­mög­lich – aber es be­deu­tet, dass po­si­ti­ve Ge­gen­maß­nah­men ge­gen­ge­rech­net wer­den kön­nen und die Bi­lanz po­si­tiv ge­stal­ten. Das be­inhal­tet zum Bei­spiel den Ex­port über­schüs­si­gen Öko­stroms.

Kli­ma­freund­lich fort­be­we­gen

An ÖPNV und Fahr­rad kommt nichts heran. Der Aus­bau der Fahr­rä­der hat laut Green­Peace 2018 rund 36 Euro pro Ein­woh­ner ge­kos­tet, zudem ma­chen ex­tra­b­rei­te Rad­we­ge und Ex­press­rou­ten das Fahr­rad­fah­ren at­trak­tiv. Die Hälf­te aller Ko­pen­ha­ge­ner*innen tritt in die Pe­da­len, die meis­ten von ihnen mehr­mals täg­lich – auf der an­de­ren Seite wer­den Park­plät­ze in der Stadt wei­ter ab­ge­baut. Die hohen Park­ge­büh­ren wer­den in fahr­rad­freund­li­che In­fra­struk­tur und Wege sowie in Grün­flä­chen in­ves­tiert.

Punk­te

Es gibt den Co­pen­ha­ge­ni­ze Index, durch den jähr­lich Punk­te an Städ­te ver­ge­ben wer­den, die sich um die Eta­blie­rung bzw. Ver­bes­se­rung der Fahr­rad­be­din­gun­gen in­ner­halb der Städ­te be­mü­hen. Dazu ge­hö­ren na­tür­lich In­fra­struk­tur, An­ge­bo­te wie Leih­rä­der, aber auch die Frage, wie Fahr­rad­fah­ren in der Kom­mu­nal­po­li­tik be­rück­sich­tigt wird. Und: Mit „Co­pen­ha­ge­niza­ti­on“ be­kommt die Maß­nah­me zur Ver­bes­se­rung der Fahr­rad­in­fra­struk­tur sogar einen ei­ge­nen Be­griff – in­klu­si­ve Hom­mage an die dä­ni­sche Haupt­stadt. Aus deut­scher Sicht sind in den Top 20 des letz­ten Ran­kings nur Ber­lin (Platz 15) und Ham­burg (Platz 20) ver­tre­ten – da ist noch Luft nach oben.

Mehr Men­schen – mehr Kli­ma­schutz

Ko­pen­ha­gen ist in den letz­ten Jahr­zehn­ten um ein Fünf­tel ge­wach­sen. Trotz­dem konn­ten dank der vie­len und lang­fris­ti­gen Maß­nah­men un­ge­fähr die Hälf­te aller CO2-​Emissionen ein­ge­spart wer­den. Ein Haupt­ar­gu­ment für die po­si­ti­ve Ent­wick­lung Ko­pen­ha­gens ist ein­deu­tig: Die dä­ni­sche Haupt­stadt hat es durch­ge­zo­gen. Die Zu­nei­gung zum Rad­ver­kehr ist be­reits seit den 1920er Jah­ren groß und nie ab­ge­bro­chen – da konn­te auch die Au­to­mo­bil­in­dus­trie nicht gegen an­kom­men. Selbst die Öl­pest, die das dä­ni­sche Meer jahre-​ oder jahr­zehn­te­lang ver­schmutz­te, und viel zu spät er­kannt wurde, konn­te ge­mein­sam ge­meis­tert wer­den. Und die Maß­nah­men sind noch lange nicht be­en­det. 

Ein Blick lohnt sich

Nach einer fahr­rad­freund­li­chen Stadt wie Ko­pen­ha­gen su­chen wir in NRW lange – auch wenn wir mit Müns­ter eine der Top-​Adressen in ganz Deutsch­land in NRW haben. Al­ler­dings dürf­ten auch Müns­te­ra­ner*innen von 4 Meter brei­ten Rad­we­gen und ei­ge­nen Stra­ßen­schil­dern oder Hal­te­vor­rich­tun­gen träu­men. Wenn man Deutsch­land im All­ge­mei­nen be­trach­tet, ist NRW aber den­noch Fahr­rad­land Num­mer eins. Das Rad­netz er­streckt sich in­zwi­schen auf etwa 18.000 Ki­lo­me­ter und soll nicht nur deine Frei­zeit be­rei­chern, son­dern dir den täg­li­chen Ar­beits­weg er­leich­tern. Be­son­ders in In­nen­städ­ten gibt es aber noch im­mensen An­pas­sungs­be­darf. Bis 2027 sol­len zu­sätz­li­che 1.000 Ki­lo­me­ter ge­baut wer­den – so das Ver­spre­chen der NRW-​Landesregierung. Al­lein 2024 wur­den 38 Mil­li­o­nen Euro in den Aus­bau der In­fra­struk­tur ge­steckt. 

Auch im Öffi-​Bereich pro­fi­tiert Ko­pen­ha­gen von einer jahr­zehn­te­lan­gen um­welt­freund­li­chen Pla­nung, bei der Aus­wei­tun­gen der Netze be­reits mit­ge­dacht wur­den. Dazu kommt die klei­ne­re Flä­che, die ab­ge­deckt wer­den muss: Ja, Ko­pen­ha­gen hat neue Me­tro­li­ni­en er­öff­net, um allen Ein­woh­ner*innen fuß­läu­fi­gen Zu­gang zum ÖPNV zu ge­wäh­ren. Al­ler­dings muss die dä­ni­sche Haupt­stadt mit ca. 86 km2 deut­lich we­ni­ger Flä­che ab­de­cken, als es Düs­sel­dorf (mit mehr als 217 km2, ca. zwei­ein­halb Mal so groß) oder Köln (405 km2, also fast fünf Mal so groß) müss­ten. All das darf keine Aus­re­de sein, er­for­dert je­doch mehr Auf­wand und Zeit.